Fang mal an mit dem Theater. Oder: Wie ich Darsteller suchte

Ich bin Autorin, ich will mich wieder ehrenamtlich betätigen, ich wurde an die Kontakt- und Beratungsstelle für junge Menschen in Not ‚KuB‘ vermittelt. Werde nun 3 Monate lang das neue Theaterprojekt begleiten, dessen Proben in der nächsten Woche beginnen sollen. Deswegen stehe ich hier am Alexanderplatz, denn was früher „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ waren, sind heute „Die Kinder vom Alex“, und die Aufgabe lautet: Such die Straßenkids! Informiere sie und bring sie auf die Bühne. So lungere ich mit einem Päckchen Flyer in der Hand um den KuB-Bus, der regelmäßig rollende Anlaufstelle ist.

Da sind auch ein paar Kids. Die dankbar das ausgegebene Essen annehmen, mit den Betreuern reden. Ich pirsche mich an: Sag mal… wie wär’s…. mit Theater?

Gerade eben ging es noch um harte Konflikte mit den Eltern, verlorene Schlafplätze, derbe Krankheiten, mächtig Ärger mit den Behörden und nun fasel ich von „Spielen macht doch Spaß.“ Als würde man jemandem im Krieg zurufen: „Wie wäre es mit einem Liedchen auf der Panflöte?!“ Aber genau darum geht es  letztlich – sie einfach mal wieder mit anderen Dingen in Kontakt zu bringen. Oder zum ersten Mal. Sehr oft zum ersten Mal.

Einer sagt, er spiele bereits, und zwar am Deutschen Theater. Veräppelt der mich? Offensichtlich nicht, er erzählt von Proben, erzählt von der Philosophie, die hinter dem Stück steht, erzählt stringent, der hat was vor, hat Energie, auf dem Kasten, was macht der hier, denke ich, aber gib mir den Flyer doch trotzdem, sagt er, vielleicht habe ich ja Zeit, bloß versprechen kann ich nichts, weil ich oft keine Termine einhalten kann. Davon habe ich schon gehört. Dass das die Schwierigkeit ist. Heute sind sie hier, morgen da, welcher Tag ist wann, ey, Alter, ich hab echte Sorgen, die dominieren gerade alles, da kann ich mich nicht um Details kümmern.

Anstatt ihn zu fragen „Und wie packst du es dann beim Deutschen Theater?“, frage ich mich, ob ich nun über „Was ist ein Plan“ reden soll, über „Wozu sind Pläne gut“ dozieren? Der Typ wirkt im Kopf so gut sortiert, es käme mir lächerlich vor.

Patsy heißt Patsy erfahre ich später, als sie mir ihren Namen sagt, zunächst nehme ich sie nur als die mit den pink gefärbten Haaren wahr. Und Patsys und meine Blicke kreuzen sich, als sie eintrifft. Die ist feinfühlig, die ist auf Empfang, denke ich und im Gespräch merke ich, dass sie auch noch schlau ist. Fürsorge-Instinkt besitzt sie außerdem. Als sich der Platz leert, mir allmählich die Kids am Bus ausgehen, ich frage „Wo finde ich denn jetzt noch welche?“, geht sie mit mir los und zeigt mir andere Plätze, damit ich noch ein bisschen Beute machen kann. Ich bin ihr dankbar. Ich bin ihr noch viel mehr dankbar, als sie meinen Hund betreut, als ich eine Gruppe von zirka sechzehn Punks aufsuche, damit ich frei mit ihnen reden kann. Und als Hundehalterin bin ich es durchaus gewöhnt, Befehle zu geben, laut zu rufen, aber in diesem Moment habe ich keinen Stich. Der, der direkt neben mir steht, merkt es und donnert mit dem Volumen einer Kesselpauke: „ÖI! Klappe halten! Die Tante hier will was sagen!“

„Tante“ hat er nicht gesagt, das habe ich mir gerade ausgedacht, aber ich habe es trotzdem gehört. Denn wir merken alle, dass ich im Vergleich eine Tussi bin, obgleich ich ganz lässig gekleidet bin, über die Schwingungen täuschen die Cargohose und das Tatoo-Shirt nicht hinweg.

„Also…“ piepse ich, und ratter mein Anliegen herunter.

Tja Mensch. Theater. Ist ja süß. Theater. Alter, was geht heut Abend.

Ein paar Flyer werde ich noch los, ein paar Gespräche kann ich führen, dann gehe ich zurück zu Patsy, deren Fürsorge Fahrt aufnimmt: So geht das nicht. Ich muss selbstbewusster auftreten. Nicht so piepsen. Ansage machen, an meinem Marketing arbeiten. Fehlt nur noch, dass sie ein Rollenspiel mit mir macht.

Dann erzählt sie, dass viele Kids Frühaufsteher sind. Und ich dachte immer, die wären Nachtkreaturen. Nee nee, weil, aus drei Gründen. Erstens: Die Temperatur entscheidet, wie lange man draußen schlafen kann, früh morgens ist es am kältesten, da wacht man automatisch auf. Zweitens: Man muss vorsorglich die besetzten Häuser verlassen, bevor man erwischt wird. Drittens: Der Job beginnt, nämlich das Schnorren, und um die Leute auf dem Weg zur Arbeit abzupassen, muss man vor ihnen zur Stelle sein.

Wir sind zurück beim Bus. Was ist mit dir, frage ich, kommst du zum Theater?

Vielleicht, sagt sie vage, sie könne oft keine Termine einhalten, sie sei krank.

Krank? Instinktiv weiche ich gefühlte Meter zur Seite, denke, oops, ich hab ihr grad noch die Hand gegeben, aber sag mal, wie bin ich denn drauf, denke sofort an modernes Lepra, wie Hepatitis oder Aids, dabei könnte sie doch auch simpel Diabetes haben.

Ich habe Borderline, Depressionen, sagt sie, als sei es das Normalste der Welt, und wieder finde ich es komisch, dass ich es komisch finde, denn eigentlich ist es ja komisch, dass „normale Bürger“ es nur hinter vorgehaltener Hand kundtun. Ist doch völlig normal! Ein Blick in die Statistik zeigt, wie normal es in unserer Gesellschaft ist. Und wir schämen uns wegen des Normalen, wir Normalos, um normaler als normal zu sein?

Ich würde mich aber freuen, dich wiederzusehen, ich hoffe, dich wiederzusehen, sage ich, vielleicht helfen dir ja gerade diese Termine, wenn du down bist, bei mir funktioniert das so.

Bei mir nicht, schaut sie über den Platz, geistig im Gehen begriffen, eine pinke Strähne aus dem Gesicht pustend, mich hält nichts mehr, wenn mich nichts hält. Und ich weiß nicht, was ich davon halten soll.

Christine Brügge

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